In vielen Unternehmen schaffen politische Machtspielchen und strategischen Ego-Touren ein kulturelles Problem. Auch der Kunde leidet am Ende darunter. Beziehungsweise leidet nicht er, sondern das Unternehmen, wenn dieser zum Konkurrenten wechselt. Einen Neukunden zu gewinnen kostet im Vergleich zu der Bestandskundenbindung ca. 6 – 7 mal so viel.
Wie kann es also sein, dass der Kunde in so vielen Fällen in den Hintergrund rückt und beispielsweise Webseiten erstellt werden, ohne sich vorab ein Bild der Zielgruppe zu machen, Design-Entscheidungen anhand von persönlichen Meinungen nur intern abgestimmt werden oder nicht auf vorhandenes Kundenfeedback eingegangen wird?
User-centric Marketing ist in vielen reifen und weit entwickelten Märkten, wie dem amerikanischen, eine völlige Selbstverständlichkeit. Wenn man sich allerdings bundesweit umhört, gerät der Kunde oft in den Hintergrund und man vertraut auf das gute alte Bauchgefühl.
Schade, denn dabei muss es doch gar nicht so schwer sein, den Kunden aktiv in den Fokus zu rücken und Maßnahmen einzuleiten, die genau das bieten, was der Kunde möchte. In diesem Artikel geht es neben der Definition von User-Centric Marketing, um Best Practice Maßnahmen, die dafür sorgen, dass es mehr Entscheidungen im Sinne der Zielgruppe gibt.
Was bedeutet User-Centricity bzw. User-Centric Marketing?
Bei einem nutzerzentrierten Marketing ist die positive Erfahrung des Kunden während der gesamten Customer Journey im Mittelpunkt. HubSpot definiert User-Centric Marketing wie folgt:
Customer-centricity is a way of doing business that fosters a positive customer experience at every stage of the customer journey. It builds customer loyalty and satisfaction which leads to referrals for more customers. Anytime a customer-centric business makes a decision, it deeply consider the effect the outcome will have on its customers.
HubSpot
Gerade digitale Touchpoints bieten uns so viele Daten, die wir nutzen können, um besseres Marketing machen zu können. Besser heißt in diesem Fall: Mehr Mehrwert für den Kunden generieren ?
Amazon Hack: Working backwards
Amazon behauptet über sich selbst nicht besessen zu sein, was den Wettbewerb angeht, sondern den Kunden. Aus diesem Grund hat Amazon die Working-Backwards-Methode für sich entdeckt:
Anstatt mit der Technologie zu beginnen, wird mit dem Kundennutzen begonnen und damit auch mit dem tatsächlichen Problem, welches gelöst werden soll. Amazon verwendet hierfür unterschiedliche Werkzeuge, die alle aus der Zukunft und aus der Kundenperspektive betrachtet werden:
- Pressemitteilung
- Concierge MVP
- FAQ
- Reviews
- Brief
In der viertägigen UX Thinking Schulung von artop durfte ich die Working-Backwards-Methode ausprobieren und in einem Team einen Kundenbrief verfassen. Eine super Übung um sich frei von (technologischen) Einschränkungen überlegen zu können, welche Features dem Kunden das Leben erleichtern würden. Darüber hinaus haben wir im Team eine gemeinsame Vision entwickelt.
Amazon Hack: Einen Stuhl für den Kunden
Ein weiterer Hack von Amazon: In Meetings wird angeblich ein Stuhl freigelassen, der repräsentativ für den Kunden steht. Damit soll dieser bei Entscheidungen nicht in Vergessenheit geraten.
Der Vorteil: Diese Methode lässt sich super schnell verproben – das Ganze ohne jeglichen Kosten ?
Unser ISER Framework: Datengetrieben zu mehr Umsatz, Wachstum und Profitabilität ohne mehr Zeit und Geld für Werbung ausgeben zu müssen.
65+ erfolgreich betreute Kunden
HubSpot Hack: SFTC – Solve for the customer
HubSpot ist ein SaaS-Unternehmen, welches mit seiner All-in-One Inbound-Plattform für kundenzentriertes Marketing steht. Neben Marketing und Sales kann mittlerweile auch der Customer-Service über HubSpot abgedeckt werden. Hierdurch kann eine 360°-Kundenansicht entlang der gesamten Customer Journey betrachtet werden. In dem öffentlichen Culture Code, der bereits mehr als fünf Millionen Aufrufe erhielt, wird über die Kunden-Mission folgendes festgehalten:
SFTC. Solve for the customer. We don’t want to satisfy them, we want to delight them. Our goal is to help them succeed.
Culture Code, HubSpot
Damit diese Vision erreicht werden kann, arbeitet HubSpot intensiv mit Buyer Persona. Die prämiere Persona ist fest im Unternehmen verankert:
Sie heißt Marketing Mary, ist 42 Jahre alt und arbeitet als VP in einem kleinen Marketing-Team eines mittelständischen Unternehmen. Ihre Ziele sind neben der Steigerung an Brand Awareness und das Orchestrieren der Unternehmenskommunikation, eine gute Zusammenarbeit mit dem Sales-Team und dafür u.a. die Generierung von Sales Qualified Leads. Dabei sind ihre größten Herausforderungen, dass sie einfach zu viel zu tun hat, sie nicht weiß, wie sie schnellstmöglich ans Ziel kommt und ihr aktuelles Marketing-Setup mit diversen Tools unübersichtlich ist.
Die Beschreibung zeigt, wie lebendig die Persona gestaltet ist. Sie hat ein Gesicht, einen Charakter, sie hat Bedürfnisse, Hinternisse, … und genau das berücksichtigt HubSpot bei jeder Marketingmaßnahme.
Bei jeder Erstellung von einer neuen Kampagne, steht an erster Stelle die Benennung des Mehrwerts für den Kunden.
Der Vorteil: Anstatt Inhalte planlos zu publizieren, wird im Vorfeld eine Content-Strategie für die Zielgruppe definiert. Bei der tatsächlichen Erstellung hilft ein Arbeitsblatt, den strategischen Fokus zu bewahren:
Damit die Buyer Persona up-to-date bleibt, werden regelmäßige Kundeninterviews geführt.
UK Government Hack: Two hours, every six weeks
Auf dem User Research Blog der britischen Regierung schreibt Katie Taylor, User Research Lead, am 29. September 2016: „Wer bei der britischen Regierung Teil des Digital Teams ist und Mitspracherecht im Projekt haben möchte, muss alle sechs Wochen mindestens zwei Stunden Zeit mit Nutzern verbringen.“
My challenge to you is to make sure the people on your bank of desks, your leadership team, and your developers are all getting their 2 hours. Let’s make this part of our DNA.
Katie Taylor, User Research Lead, UK Government
Mithilfe dieser Routine sorgt das Team, dass Produktentscheidungen für den Nutzer getroffen werden. Diese können wiederum spätestens dank dem sechswöchigem Rhythmus erprobt werden.
HolidayCheck Hack: Kunden eine Stimme geben
Mit mehr als 9 Millionen Hotelbewertungen und über 10 Millionen Urlaubsfotos ist HolidayCheck das größte deutschsprachige Bewertungsportal für Hotels und Urlaub.
Gemeinsam mit Jung von Matt hat das Unternehmen 2017 die Kampagne „Buch dein Ding“ gestartet und dafür den Startschuss für seine Repositionierung gesetzt.
Das Konzept basiert nach wie vor auf Hotelbewertungen. Unter holidaycheck.de/vorlieben können die User jedoch nun auch nach ihren persönlichen Bedürfnissen suchen und auf Basis von gefilterten Bewertungen den passenden Urlaub finden.
Insgesamt legt das Ökosystem den Fokus auf Inhalten, die von Kunden generiert werden (user-generated). Laut HolidayCheck führt dieses zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Die erstellten Inhalte werden zudem genutzt um Kundenbedürfnisse zu analysieren und um das tatsächliche Angebot auf der Plattform kontinuierlich zu optimieren.
Allein 2018 konnte HolidayCheck mehr als 6.000 Bewertungen pro Tag von insgesamt 2,7 Millionen Community-Mitgliedern zählen. Indem man als Kunde die Möglichkeit hat, die Marke mit Leben zu füllen, zu gestalten und sogar andere Kunden zu beraten, wird die emotionale Bindung an das Unternehmen geschärft.
HolidayCheck holt den Kunden also wortwörtlich mit ins Team 🙂
Google Hack: Die Wissenschaft der radikalen Kreativität
Google bzw. Alphabet Inc. hat ambitionierte Ziele und möchte das große Unbekannte entdecken und damit in die Geschichte eingehen. Mit X wurde eine eigene Forschungsabteilung geschaffen, der es nicht an Geld mangelt. Allein im zweiten Quartal 2018 investierte Google fünf Milliarden US-Doller für Moonshots.
We create radical new technologies to solve some of the world’s hardest problems.
The moonshot factory X
Der Begriff „Moonshot“ bezieht sich auf die Ankündigung von John F. Kennedy bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu schießen.
Keine Angst – das Budget soll an dieser Stelle nicht der Hack sein. Eher der Ansatz, nicht bei den Antworten, sondern bei den richtigen Fragen und den größten Problemen zu beginnen. Denn so schafft man Mehrwert.
Moonshots don’t begin with brainstorming clever answers. They start with the hard work of finding the right questions.
The Atlantic Magazine
Außerdem geht es darum, sich bewusst zu machen, dass viele Projekte komplex sind und wir nicht auf Anhieb die „richtigen“ Antworten kennen können. Um so wichtiger, in kleinen Schritten vorzugehen, zu experimentieren und dabei immer mehr auf die Zielgruppe zu schauen.
Astro Teller, Moonshot Captain bei X, spricht von 9/10 Fällen, in denen es nicht funktioniert. Man fällt hin, es gehen Dinge kaputt – das Ganze ist weder glamourös noch einfach. Die Kunst besteht darin, weiterzumachen, schnelle Experimente in die Welt zu bringen und zu lernen. Die Dinge so zu machen, wie man sie immer gemacht hat und kennt, ist dabei alles andere als förderlich:
Fazit
Es gibt unzählige Tools und Methoden die helfen, den Kunden besser kennenzulernen und ihn in den Alltag zu integrieren. Letztendlich ist es egal, welche Methode im Einsatz ist.
Was zählt ist, dass ein gemeinsames Verständnis geschaffen wird, wer der ideale Kunde ist, was er möchte und was seine Herausforderungen sind und vor allem, dass diese Erkenntnisse genutzt werden, um für den Kunden zu handeln.
Dabei sollte sich das gesamte Unternehmen dazu bereit erklären, einen kundenzentrierten Ansatz zu etablieren und diesen rigoros zu verfolgen. Was nützt ein Kundenfokus im Marketing, wenn Produktmanagement, Kundenservice, Sales oder R&D diesen nicht teilen? Genau aus diesem Grund ist bei den einzelnen Methoden hilfreich, sie crossfunktional in Workshops zu erarbeiten, damit die Akzeptanz aller Stakeholder vorhanden ist.
Die Best Practice Beispiele zeigen, dass der Kunde proaktiv durch Rituale oder Strukturen „in das Team“ geholt werden muss. Ohne diesen Fokus, gerät der Kunde in den Hintergrund und Entscheidungen werden auf Grund von anderen Faktoren getroffen. Diese sind meistens weder zahlen- oder faktenbasiert. Das Bauchgefühl überwiegt.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und der Arbeitsalltag verschlingt tolle Ideen und sich selbst gesetzte Vorsätze. Oder wie ist das noch einmal mit den Neujahrsvorsätzen ??
Genau deshalb kann man auf erstellte Templates wie die Buyer Persona ein Ablaufdatum hinterlegen, damit man regelmäßig den Status Quo hinterfragt.
Der Artikel ist für einer Session auf dem CX-BeuteBarCamp entstanden. Vielen Dank an Des Wahnsinns Fette Beute und alle, die bei der Session mitgewirkt haben 🙂
Wie bindest du Kunden in eure Workflows ein? Gibt es etablierte Rituale, Worksheets oder Methoden? Kennst du weitere Hacks anderer Unternehmen? Ich freue mich über deinen Input.